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Demodemodemo Kratie

So viel Hetze. So wenige, konstruktive Lösungen für die reellen Probleme unserer Zeit. Wahlkampf um Kopf und Kragen. Wahlkampf für die Reichen und Gutverdiener. Wenn Parteien der angeblichen Mitte plötzlich Wahlkampf für und wie Faschisten machen. Menschen-, Frauen- und Europarechte mit den Füßen getreten werden. Wenn Amerika zum Vorbild wird und jede fünfte wählende Person ihr Kreuz an der falschen Stelle setzt. Bildung, Kinder und Klima kaum vorkommen im öffentlichen Diskurs über die Wahlprogramme. Wenn einige Christ:innen sich öffentlich AFD-freundlich äußern und bereit sind, eine Partei zu wählen, die marginalisierte Gruppen nicht schützt, sondern weiter ausgrenzen möchte, rassistische und antisemitische Aussagen macht, die Demokratie destabilisiert indem sie Verschwörungsmythen und Falschinformationen verbreitet und die Meinungsfreiheit beschneiden möchte. Wie da nicht den Mut verlieren? Wo die Hoffnung hernehmen?

Es macht mir Angst, in diesem Land Kinder großzuziehen. Ich habe Sorge um ihre Zukunft. Es fühlt sich aussichtslos an, gegen all die verwirrten Menschen aufzustehen. Und mit welchen Ressourcen eigentlich? Was kann ich als Vollzeitmama 2er Kinder schon ausrichten? Ich lese von Widerstand und fühle Überforderung. Hilflosigkeit macht sich breit. Und dann haben die Populisten und Populistinnen mich genau da, wo sie mich brauchen. Mundtot, ängstlich und verunsichert.

Es gibt nämlich sehr wohl Dinge die ich tun kann. Es gibt sehr wohl Dinge, die wir Eltern für unsere Demokratie und die Zukunft unserer Kinder tun können. Es ist vielleicht nicht die Lebensphase für aktive politische Beteiligung auf Landesebene. Aber es ist nie alles oder nichts! Wir sind viele - und wir sind mehr. Die Verunsicherung ist gewollt und geplant herbeigeführt, so funktioniert Populismus. Aber ich möchte aus meiner Schockstarre aufwachen. Es braucht nicht nur die großen Gesten und Taten sondern auch die kleinen im Verborgenen und im Alltäglichen.

Was ich meinen Kindern vorlebe, ist relevant. Wir Eltern prägen die Generation von morgen. Fördern wir Hass und Hetze oder Demokratie und Vielfalt? Wie ich mit meinen Kindern spreche, ist relevant. Sprache formt Realität. Dürfen meine Kinder sein wer sie sind? Lieben wen sie lieben? Fühlen sie sich sicher und geborgen? Wie sprechen wir in unserem Zuhause über Lebensformen und Kulturen, die sich von unseren unterscheiden? Bewerten oder bewertschätzen wir? Stellen wir uns unseren eigenen Baustellen und arbeiten gegen unseren verinnerlichten Rassismus?
Thematisieren wir die Bundestagswahl zuhause oder sparen wir die Thematik aus, weil es anstrengend und kompliziert ist, das für Kinder zu erklären? Demokratieverständnis muss gesät und bewässert werden. Gepflegt und begleitet. Ich muss meinem fünfjährigen Sohn vielleicht noch nicht den Unterschied zwischen der Erst- und Zweitstimme erklären. Aber ich kann kindgerechte Bücher beispielsweise über die Wahl des Dschungelkönigs vorlesen und dabei über faire Wahlprozesse ins Gespräch kommen („Im Dschungel wird gewählt“; „Ich bin für mich“ ). Ich kann mit ihm besprechen, dass ich wählen gehe und warum ich das wichtig finde. Ich kann mit ihm ein kindgerechtes Plakat basteln, ihm und seinem Bruder gegebenenfalls einen Gehörschutz aufsetzen, genügend Snacks in den Bollerwagen packen und die Kinder mitnehmen zur nächsten Demo gegen Rechts. Weil es wichtig ist, ihnen zu zeigen, dass sie eine Stimme haben. Und dass Menschen gemeinsam für das Gute einstehen können.

Aufstehen gegen Rechts beginnt bei mir zuhause. Widerstand gegen Hass und Hetze findet nicht nur im Big Picture statt. Widerstand ist auch, wenn ich den Parteivertreter an meiner Haustüre freundlich und bestimmt samt Wahlflyer wieder wegschicke, wenn er eine nicht-demokratische Partei vertritt; meinen Kindern Bücher vorlese in denen bewusst ganz unterschiedlich Personen und Lebensformen abgebildet sind, ich einer demokratischen Partei beitrete (ist selbst dann sinnvoll, wenn ich gerade keine Ressourcen habe aktiv Politik mitzugestalten - siehe unten), wenn ich selbstverständlich mit Freund:innen und Familie darüber spreche, wen ich wähle (weil das andere zum Um- und Nachdenken bringen kann und endlich diese wichtige Frage enttabuisiert) oder wir zuhause eine gesunde Streitkultur vorleben, die unseren Kindern zeigt, dass man auch bei unterschiedlichen Meinungen zueinander finden kann und jede Stimme gehört wird.

Ich verstehe mich als Teil von Familie Mensch. Die Gleichwürdigkeit von Menschen kann nie zur Debatte stehen. Deshalb wähle ich (gerade als Christin) eine demokratische Partei. Demokratisch wird eine Partei übrigens nicht automatisch, nur weil sie auf demokratischem Wege gewählt wurde. Es geht darum, ob bestimmte Spielregeln anerkannt werden oder nicht. Eine Partei, die voll Hass und Rassismus auf Menschen mit Migrationshintergrund schaut, hat den Grundsatz der Gleichwürdigkeit aller Menschen für sich abgeschafft und ist somit keine demokratische Partei. Die Gleichwürdigkeit aller Menschen ist nämlich unverhandelbar für Demokraten und hoffentlich auch für jede/n Christ:in. Ich will Liebe leben. Im Umgang mit anderen, der Umwelt und mit mir. In einer Welt voll Hass und Hetze möchte ich Liebe und Verbundenheit dagegensetzen und in meiner kleinen Welt einen Unterschied machen. Klingt dramatisch - ist es auch. Unwichtig ist es nämlich nicht.

Fußnote:
Warum einer demokratischen Partei (einer die so demokratisch ist, dass sie keine gemeinsame Mehrheiten mit Faschisten in Kauf nimmt)beitreten:

  • Außenwirkung: Es spielt eine Rolle im Wahlkampf, wenn eine Partei viele Beitritte und Mitglieder hat - sie wirkt dadurch attraktiver für bisher unentschlossene Wähler:innen
  • Die Partei wird finanziell unterstützt (Mitgliedsbeiträge werden in Deutschland im Rahmen der staatlichen Parteienfinanzierung aufgestockt- so erhält eine Partei pro 1€ Mitgliedsbeitrag 45Cent Bezuschussung) und hat dadurch andere Möglichkeiten für den Wahlkampf etc.
  • Psychologische Wirkung: Parteizugehörigkeit verdeutlicht: Wir sind nicht alleine sondern gemeinsam unterwegs- wir sind viele und können etwas gemeinsam bewirken.