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Wer lehrt wen? (Pt. 2/4)

Ich war schon immer an Theologie interessiert. Andere lasen die Bibel aus Pflichtgefühl – ich fand sie spannend. Diskussionen über Glaubensthemen waren meine Lieblingsdiskussionen. So wurde auch die Frage relevant, ob frau nun lehren oder gar predigen dürfe. Auch hier begegneten mir im evangelikalen Kontext Antworten im gesamten Spektrum. Von „Frauen dürfen nur Frauen und Kinder lehren“, über „Frauen dürfen predigen, wenn ihr Ehemann das verantwortet – er also Pastor oÄ. sei“ bis zu „klar wenn sie die Gabe hat, soll sie lehren“ war alles dabei. Und wieder war es mein dringlicher Wunsch, das Richtige zu tun. Vor Gott. Nicht gegen meinen angestammten Platz zu rebellieren, wenn Gott sich die Rollenverteilung eben so ausgedacht hatte.
In meiner frommen Karriere leitete ich also Jugendkreis und Mädchenhauskreis – und als ich einmal sonntags „eine Andacht für die Gemeinde“ halten sollte (Predigt wollten wir es lieber nicht nennen) - und ich viel positives Feedback erhielt und gefragt wurde, ob ich vielleicht monatlich eine Sonntagsandacht halten wolle, lehnte ich ab, weil ich mir zu unsicher war, ob das vor Gott wohl okay sei. Den Gedanken Theologie zu studieren, verwarf ich, weil die scheinbar zahlreichen dagegensprechenden Bibelstellen mich verunsicherten.

Dass bei all diesen Bibelstellen ein patriarchisches Weltbild des antiken Menschen mitschwingt, der die Welt nicht anders sehen kann, war mir zu keinem Zeitpunkt meiner Jugend bewusst. Heute weiß ich, patriarchale Strukturen führten und führen zu bestimmten Bibelübersetzungen und Auslegungen. Die Bibel ist nicht im Urtext frauenfeindlich. Sie ist ein Produkt ihrer Zeit und ihre Auslegung fiel nicht selten dem Patriarchat zum Opfer. Wenn nur Männer schreiben, übersetzen, lehren und gelehrt werden dann verändert das die Botschaft. Und nicht nur die biblische Botschaft, auch die christliche Gemeindelandschaft hat ihren fair-share an patriarchaler Prägung abbekommen. Hier empfehle ich wärmstens die Lektüre des Buches „Endlich gleich“ von Veronika Schmidt – es ist ein großartiger Rundumschlag über Gleichstellung, Emanzipation, feministische Theologie und Geschlechterrollen in der konservativen Gemeindewelt.

In meinem frommen Umfeld war Frausein mit Schuld und Scham und jede Menge Dogmatismus aufgeladen. Immer und immer wieder begegnete mir die Diskussion über die richtige keusche Kleidung mit der auch ja niemand verführt werden würde - ich erlebte Sexismus an allen Ecken und Enden, wurde für meine Rocklänge und Skinnyjeans zurecht gewiesen und irgendwann überzeugt davon, die Verantwortung dafür zu tragen, was Männer über mich dachten.
Ich erlebte Diskriminierung und Ungleichstellung von Frauen und dachte ich müsste das nicht nur aushalten, sondern auch relativieren, weglächeln, sogar gut finden. Gehen Sie weiter, hier gibt es nichts zu sehen. In mir war so viel Unmut, so viel Unverständnis. Und irgendwann hatte ich endlich den Mut, mir dieses Unverständnis einzugestehen. Was ich erlebte, war nicht okay.
Als ich verstand, dass es seit jeher eine systemische Unfassbarkeit ist, dass Männer Frauen kleinhalten, geringschätzen und abwerten, wurde mir klar, dass auch mein Gottesbild eingefärbt war durch eine patriarchale Brille.
Ich hatte tief verinnerlicht, dass der Gott, an den ich glaubte, Frauen weniger schätzte als Männer. Doch wenn ich auf Jesus blickte, passte das so gar nicht zusammen.

[Fortsetzung folgt.]